Aus dem Nest gefallen?
„Uns erreichen zurzeit fast täglich 20-30 Anfragen von besorgten und engagierten Dortmunderinnen und Dortmundern, die einen vermeintlich hilflosen Jungvogel gefunden haben. Ähnlich viele Anrufe erhalten auch der Tierschutzverein und die örtlichen Tierärzte“. Dr. Erich Kretzschmar, Vorsitzender des NABU Stadtverbandes Dortmund, ist einerseits erfreut über das Interesse an und die Sorge um die Tiere, andererseits aber auch sehr skeptisch. Nur wenn die Jungvögel in unmittelbarer Gefahr sind, etwa auf der Fahrbahn einer Straße sitzen oder sich anderen Gefahrenquellen nähern, sollte der Mensch eingreifen. Dabei können die Tiere auch kurz mit den Händen angefasst und bestenfalls in ein Gebüsch oder in einen niedrigen Baum in bis zu 50 Meter Entfernung vom Fundort gesetzt werden. Die Altvögel finden ihre Jungen normalerweise wieder und versorgen diese auch weiterhin. Die Aufzucht von Jungvögeln durch den Menschen ist je nach Art oft schwierig und glückt oft nicht. Der NABU Dortmund appelliert an die Bevölkerung, vermeintlich hilflose Vogelkinder auf jeden Fall in der freien Natur zu belassen. Nur ganz selten handelte es sich bei gefundenen Jungvögeln am Boden um verlassene, verletzte oder geschwächte Tiere, die Hilfe benötigen, so der NABU.
„Viele Vogelarten verlassen nämlich das Nest bereits, bevor sie fliegen können“, erläutert Gudrun Hartisch, Leiterin der Greifvogel- und Eulenpflegestation des NABU Dortmund. „Dazu zählen nicht nur typische Nestflüchter wie Enten, Fasanen oder Kiebitze, sondern auch einige Singvogelarten.“ Im Stadtbereich handelt es sich oft um die bräunlich gefleckten Jungamseln, die etwa eine Woche vor dem Flüggewerden der drangvollen Enge des Nestes entflohen sind. „Wer aufmerksam beobachtet, wird feststellen, dass diese unbeholfen herumflatternden Federknäule mit ihrem noch viel zu kurzen Schwänzchen durchaus nicht verlassen sind“, betont Hartisch, „sondern auch weiterhin von ihren Eltern betreut und gefüttert werden.“ Damit sie nicht verloren gehen, lassen die Jungvögel fast unablässig so genannte „Standortlaute“ hören.
Auch junge Greifvögel und Eulen durchlaufen ein so genanntes 'Ästlingsstadium', in dem sie noch im Dunenkleid im Geäst umherturnen. Auch sie werden im Normalfall von ihren Eltern betreut. „Hilfe ist erst notwendig, wenn nach längerer Beobachtung aus angemessener Entfernung feststeht, dass es sich wirklich um einen verletzten oder kranken Vogel handelt.“
Oft ist die Hilfe auch einfach. So berichtete ein Anrufer aus Wickede von einem jungen Turmfalken, der durch das offene Fenster geflogen und unter dem Wohnzimmertisch zuflucht gesucht hatte. Er musste nur auf die Fensterbank gesetzt werden und startete zurück in die Natur. Auch die im Moment ausfliegenden jungen Mauersegler machen oft Notlandungen auf der Erde und können ohne Hilfe nicht starten. Hier reicht es meist, den Vogel aufzuheben, sie fliegen dann von allein wieder los.
Bericht von Dr. Erich Kretzschmar